Esslinger Zeitung
- OSTFILDERN: 175 Jahre Chorgesang in Nellingen mit zwei Jubiläumsveranstaltungen – Matinée am 14. April
Etliche junge Männer wollten Mitte der 60er-Jahre im 19. Jahrhundert dem seit 1838 bestehenden Männergesangverein Liederkranz Nellingen beitreten. Sie wurden abgewiesen mit der Begründung: „Jung und Alt passen nicht zusammen.“ Kurzerhand machten sie 1868 ihren eigenen Verein auf. Die Eintracht Nellingen war geboren. Geburtshelfer war der Liederkranz, die Vereinsgründung erfolgte aus Protest.
Die Eintracht feiert ihr 175-jähriges Bestehen mit zwei Jubiläumsveranstaltungen. Den Auftakt bildet eine Matinée am Sonntag, 14. April, um 11 Uhr im Theatersaal an der Halle. Am 19. Oktober findet ein Jubiläumskonzert im Kubino statt. Kassier Peter Miller umreißt die Entstehungsgeschichte. Der musikbegeisterte Schäfer Jakob Hermann dirigierte und brachte den Männern des Liederkranzes die Lieder durch das Vorspielen auf der Klarinette bei. Die älteren Herren betrachteten den jungen Verein nicht als Konkurrenz. Das zeigt die Tatsache, dass beim großen Festumzug zur Fahnenweihe 1873 beide Nellinger Vereine einträchtig mit weiteren 28 Gesangvereinen und mehr als 1200 Sängern mitmarschierten. Die Fahne ist noch heute im Besitz des Gesangvereins Eintracht.
1890 wurde der Liederkranz aufgelöst. Er hatte sich bereits viele Jahre zuvor der Kirche zugewandt. Die Eintracht begleitet eine wechselvolle Geschichte. Erst ging es steil bergauf bis 1911 ein unüberwindbarer Streit über Verbandszugehörigkeit 18 Sänger veranlasste, aus dem Verein auszutreten und mit 65 Nellinger Arbeitern den Gesangverein Freiheit zu gründen. Nach der Machtergreifung durch die Nazis wurde der deutsche Arbeitersängerbund 1933 verboten. Damit wurde auch die Freiheit in Nellingen aufgelöst. 63 Mitglieder traten der Eintracht bei, die 1948 auf 135 Sänger stolz sein konnte. Die Mitgliederzahl bewegte sich dann stetig nach unten. Aktuell sind 30 Sänger im Verein.
Die vierte Vereinsfahne der Eintracht dokumentiert die Geschichte des Chorgesangs in Nellingen. Liederkranz und Freiheit gibt es schon lange nicht mehr.
Frauen stärken den Verein
1969 wurde der Frauenchor gegründet, auch um den Verein zu stärken, wie der Vorsitzende Hans-Dieter Bauer sagt. Zudem wollten die Frauen, die erstmals zum 125-jährigen Jubiläum eingeladen waren, nicht nur Notnagel sein. Seither gibt es auch einen gemischten Chor. Beide leitet der Kirchenmusiker Rainer Stolle. Er legt Wert auf die Verknüpfung von traditioneller und ambitionierter Chorliteratur. Volkslieder und Unterhaltungsmusik werden kombiniert mit Anspruchsvollem wie Brahms Liebesliedwalzer Opus 52.
Den 40-köpfigen Frauenchor dirigiert die Gesangspädagogin Hilde Scheerer. Sie ist auch für die 15 Jungen und Mädchen ab 6 Jahren im Kinderchor Picconellis zuständig, den es seit 1984 gibt. Ebenso für die Swingin’ Harmony mit 35 Mitgliedern, die sich seit 1998 der populären, oft englischsprachigen Musik widmen. Die dritte Gruppe, die sie leitet, ist der Jugendchor Nell’canto mit 20 Sängern ab 12 Jahren, der Songs aus Filmen und Musicals, Schlager und Popsongs im Repertoire hat. Im vergangenen Jahr wurde der Nachwuchschor für herausragende musikalische Leistung im Lotto-Musiktheaterwettbewerb ausgezeichnet. Kinder- und Jugendchor sind in Kooperation mit der Städtischen Musikschule entstanden.
Der Altersdurchschnitt bei den Erwachsenenchören liegt bei 72 Jahren. Nach den Proben am Donnerstag sitzen die Mitglieder häufig im Sängerheim zusammen. Obwohl Männer und Frauen im gemischten Chor harmonieren, herrscht im Eintrachtstüble Geschlechtertrennung. „Wie früher in der katholischen Kirche“, scherzt Peter Miller. Wobei die Trennung eher durch die aufeinanderfolgenden Probenzeiten der beiden Chöre diktiert wird.
An der Jubiläumsveranstaltung am 14. April nimmt neben den Eintracht-Chören das Akkordeonorchester Nellingen teil. Grußworte sprechen OB Christof Bolay und der Präsident des Karl-Pfaff-Chorverbands, Udo Goldmann. Stadtarchivar Jochen Bender hält einen Vortrag und Rainer Schuldt liest.