Mit 69 Jahren ist Hans-Dieter Bauer der Zweitjüngste im Männerchor der Eintracht Nellingen. Seit 50 Jahren singt er dort.

Bis zum letzten Akkord

Esslinger Zeitung
  • OSTFILDERN: Hans-Dieter Bauer singt seit 50 Jahren bei der Eintracht Nellingen – und ist einsamer Kämpfer für den Fortbestand des Chorgesangs

Von Harald Flößer

„In zehn oder 15 Jahren gibt es uns vielleicht gar nicht mehr. Zumindest nicht in der heutigen Form.“ Wenn Hans-Dieter Bauer über die ungewisse Zukunft der Chöre spricht, schwingt Bedauern mit. Aber der 69-Jährige sieht die Entwicklung ganz nüchtern. Immer mehr Gesangvereine geben auf, weil der Nachwuchs fehlt. Umso bemerkenswerter ist, mit welcher Leidenschaft sich Bauer seinem Hobby widmet. Chorgesang ist seit je her ein wichtiger Teil seines Lebens. Seit 50 Jahren singt er in den verschiedensten Formationen der Eintracht Nellingen. Seit 39 Jahren trägt er im Vorstand des Traditionsvereins Verantwortung, 24 Jahre davon als Vorsitzender. Und seit 20 Jahren gehört Bauer dem Präsidium des Chorverbands Karl Pfaff an. Das heißt, bis zu drei Abende die Woche verbringt er in Singstunden oder in Sitzungen. Warum er so viel Zeit dafür verbringt, obwohl „die Kurve nach unten geht“, wie er es ausdrückt? Eine echte Erklärung hat Bauer dafür nicht. „Weil es einfach Spaß macht.“ Und weil ihm das Miteinander, die Kameradschaft mit den Sangesbrüdern und -schwestern so wichtig sei. „Das große Chorsterben steht uns noch bevor“, hatte Udo Goldmann, der Präsident des Chorverbands Karl Pfaff, vor kurzem im EZ-Interview wegen der zunehmenden Überalterung der Vereine prognostiziert. „Das traditionelle Singen von Männerchören stirbt aus“, sagte Goldmann. Das liege auch daran, dass das deutsche Liedgut bei jungen Leuten nicht mehr gefragt sei. Im Augenblick hat der Chorverband 78 Mitgliedsvereine, die sich in 187 Chöre untergliedern und zusammen etwa 9200 aktive und passive Mitglieder haben.
Seitdem sich der Liederkranz Parksiedlung vor ein paar Jahren aufgelöst hat, gibt es in Ostfildern noch vier klassische Gesangvereine: die Eintracht Nellingen, den Liederkranz Kemnat, den Sängerbund Ruit und die Sängerlust Scharnhausen. Alle haben mit dem gleichen Problem zu kämpfen: Die Alten sterben, Junge kommen nicht nach. Die 25 Sänger beim Männerchor der Eintracht Nellingen haben ein Durchschnittsalter von 78 Jahren. „Ich bin mit 69 der Zweitjüngste“, sagt Bauer. Für den Frauenchor hat er einen Schnitt mit knapp 75 errechnet. Und selbst der sogenannte Junge Chor, Swingin’ Harmony, kommt auf knapp unter 60 Jahre. Mangelnde Nachwuchsarbeit kann man dem Verein nicht vorwerfen. In Kooperation mit der städtischen Musikschule werden ein Kinder- und zwei Jugendchöre geführt. Doch sobald die jungen Sänger im Erwachsenenalter sind, widmen sie sich anderen, für sie wichtigeren Freizeitbeschäftigungen. „Mit 20 sind die weg“, weiß Bauer. Das sähe nach seiner Ansicht vielleicht anders aus, wenn die Musik und im speziellen der Gesang in der Schule einen größeren Stellenwert bekämen.
Aber es ist ganz und gar nicht Bauers Art, ein Klagelied anzustimmen. Zahlenmäßig stehen alle Chöre bei der Eintracht (noch) gut da. Auch finanziell kann sich der Verein mit seinen 200 Mitgliedern ganz gut über Wasser halten. Wenn der Nellinger vom aktuellen Projekt des Chorverbands Karl Pfaff erzählt, funkeln seine Augen. „Beidseits des Mondes“ ist ein märchenhafter Nachtspaziergang von einem Großvater und seinem Enkel, den Chöre aus Esslingen, Nellingen, Neckartailfingen und Großbettlingen auf die Bühne bringen. Als nächstes am 23. April um 19.30 Uhr im Sportforum Großbettlingen. Hans-Dieter Bauer wird mit dem gleichen Eifer dabei sein wie bei seiner ersten Chorprobe am 12. Mai 1966. Und das Singen genießen – bis zum letzten Akkord.